London
(dpa) - Es gibt nicht viele Leute auf der Welt, die mehr
Weihnachtsansprachen gehalten haben als die Queen. Einige Pfarrer
vielleicht, und womöglich auch das eine oder andere Familienoberhaupt.
Aber sonst?
Seit 54 Jahren wendet sich Königin Elizabeth II.
nun schon zu Weihnachten an ihre Nation, in diesem Jahr aus der
Southwark-Kathedrale in London. Der erste Feiertag ohne die «Queen's
Speech» um 15.00 Uhr - das wäre für die Briten, als ob sie zum Fest auf
Truthahn oder Christmas Pudding verzichten müssten.
Die gute alte
Tradition der Festansprachen hat sich jetzt die Wissenschaft zu Nutze
gemacht. Der Münchner Professor Jonathan Harrington besorgte sich bei
der BBC alle Weihnachtsreden seit 1952 und verglich die Bänder
miteinander. Ergebnis: Die Queen spricht längst nicht mehr so etepetete
wie früher. In ihr «Queen's English» hat sich ein anderer Ton
eingeschlichen - das «Estuary English» («Mündungsenglisch»), das auch
in der britischen Mittelklasse weit verbreitet ist.
«Die Queen
betont Vokale heute ganz anders», sagt der 48-jährige Engländer, der
eine Phonetik-Professur an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität
innehat. In der ersten Ansprache 1952 beendete sie ihre Rede zum
Beispiel noch mit «Happay Christmas». Heute sagt sie «happee». Die
«dutay» («duty», die Pflicht) ist nun die «dutee». Und auch das «home»,
das Heim, spricht sie heutzutage aus wie die meisten anderen Engländer
- und nicht mehr «hame» wie früher.
Der Name «Mündungsenglisch»
kommt daher, dass im Mündungsgebiet der Themse schon lange so
gesprochen wird. Inzwischen reden viele so, zum Beispiel die meisten
Sprecher der BBC und auch Premier Tony Blair, der eigentlich aus
Schottland kommt. «Und auch die Queen hat sich einiges davon zu Eigen
gemacht», sagt Harrington. «Früher wäre das undenkbar gewesen. Aber das
hat damit zu tun, dass die Unterschiede zwischen den sozialen Klassen
heute nicht mehr so ausgeprägt sind.»
Und vielleicht auch mit dem
Fernsehen: Bekannt ist, dass die Königin ganz gern die eine oder andere
Vorabend-Serie einschaltet, wo nicht unbedingt so gesprochen wird wie
in Adelskreisen üblich. Auch dies, so fand der Professor heraus, färbt
auf die eigene Klangfarbe ab. Aber letztlich vollzieht die Queen - in
minderem Umfang - nur nach, was viele ihrer Untertanen schon hinter
sich haben.
Vor allem in London wird heutzutage ein ganz anderes
Englisch gesprochen als vor einigen Jahren. Angst wegen fehlender
Vokabeln muss hier kaum noch jemand haben. Auf den Straßen der
7,5-Millionen-Einwohner-Stadt mit ihren vielen Einwanderern hat sich
ein Einfach-Englisch eingebürgert, mit dem die Putzfrau aus Polen
ebenso zurecht kommt wie der U-Bahn-Fahrer aus Pakistan und der
deutsche Tourist.
Die Sprachforscher haben dafür auch schon einen
Namen: «Globish» - eine Art Global-Englisch für alle, deren
Muttersprache eine andere ist - mit schlichtem Satzbau und um die 1500
Vokabeln. In der Vermutung, dass einem solchen Englisch die Zukunft
gehört, hat auch der British Council ein «World English Project»
gestartet. Viele Briten klagen darüber, dass ihre Sprache verkommt.
Aber daran werden sie sich wohl gewöhnen müssen.
Sogar bei der
diesjährigen Weihnachtsansprache werden die Briten einen anderen Klang
zu hören bekommen. Zwar nicht bei der Queen-Rede um 15.00 Uhr in der
BBC, die erstmals auch im Internet herunter zu laden ist, aber bei der
Alternativ-Ansprache, die der große Privatsender Channel 4 zeitgleich
ausstrahlen wird. Die wird in diesem Jahr von der muslimischen
Einwanderin Khadija Ravat gehalten, die aus Simbabwe stammt. Was auch
immer die 33 Jahre alte Lehrerin sagen wird: «Queen's English» wird es
nicht sein.