Prof. H.G. Tillmann, Dr.-Ing. F. Schiel
In den folgenden Kapiteln werden wir uns daher mit den Grundtypen der Sprachschallerzeugung und deren akustische Auswirkungen beschäftigen.
Wenn wir auch dabei die verschiedenen Arten der Anregung streng trennen,
darf nicht vergessen werden, daß die meisten der nachfolgend
beschriebenen Mechanismen parallel ablaufen können. So kann z.B.
ein Frikativ durchaus von einem stimmhaften Signal der Glottis begleitet
sein (z.B. in 'Garage');
man spricht dann eben auch von einem stimmhaften Frikativ,
usw.
Die Quelle erzeugt ein Schallsignal mit einem bestimmten Spektrum, das
bis zur Abstrahlung an den Lippen einen Resonator (den Vokaltrakt)
durchläuft, welcher
das Signal mit einer bestimmten Übertragungsfunktion verformt.
Da es sich auch hier um ein lineares
System
handelt, kann man das Spektrum des abgestrahlten Sprachsignals
dadurch erhalten, daß man das Spektrum der Quelle mit der
Übertragungsfunktion des Filters multipliziert. Ein anderer -
aber mathematisch äquivalenter - Weg ist die Faltung des Quellesignals
mit der Impulsantwort des Filters im Zeitbereich.
Dabei ist zu beachten, daß es sich bei der Quelle nicht nur um die
stimmhaft angeregte Glottis handeln muß. Ebenso kann der Resonator,
der Hohlraum im Vokaltrakt, je nach Lage der Quelle sehr komplexe Formen
annehmen (z.B. bei Ankopplung des Nasenraums).
Da es sich bei der Rohschallerzeugung, also der Quelle, immer um einen
aerodynamischen Prozeß und bei der Verformung des Spektrums,
also des Filters, immer um einen akustischen Prozeß handelt,
wollen wir bei der nachfolgenden Beschreibung der verschiedenen
Möglichkeiten zur Sprachlaut-Erzeugung
diese beiden Aspekte immer getrennt ansprechen.
Wie man sieht, ist das Signal s(t) einerseits
quasistationär mit der
Grundfrequenz F0 (bei Männern typischerweise
90 - 140 Hz; bei Frauen zwischen 130 - 250 Hz), andererseits
zeigen sich in den
beiden Maxima im Amplitudenspektrum |S| die beiden ersten
Formanten F1 und F2.
Was aber, wenn die Harmonischen in Spektrum sehr weit auseinander
liegen, z.B. aufgrund einer sehr hohen Grundfrequenz, wie in einer
Kinderstimme oder beim Fisteln?
Liegen dann die Formanten immer noch genau auf den
Harmonischen? Oder vielleicht irgendwo dazwischen?
Hermann (1890) war anderer Ansicht als Helmholtz: Er vertrat die
These, daß die Formantfrequenzen durch eine Resonanz des
Vokaltrakts, gleichsam einer angeschlagenen Glocke, hervorgerufen
werden. Das Bild von der Glocke ist nicht von ungefähr
gewählt: Auch bei einer Glocke liegen die Resonanzfrequenzen
nicht harmonisch; genauso, wie man es auch bei den Formantfrequenzen
beobachten kann.
Eine annähernde Vorstellung, wie ein Sprachsignal nach
Hermanns Theorie klingen würde, geben die Experimente des MIT der
sog.
Sine Wave Synthesis wieder.
Wie man unschwer hören kann, ist dies zwar immer noch verständlich, aber
gewiß nicht die orginale Stimme.
Wie wir im Laufe dieses Kapitels sehen werden, haben beide recht und
unrecht. Zunächst aber wollen wir die beiden Aspekte der Schallerzeugung,
den aerodynamischen und den akustischen, für die Vokoide näher betrachten.
Bei der stimmhaften Phonation bildet sich unterhalb der geschlossenen
Stimmlippen ein Überdruck, welcher den Verschluß schließlich
sprengt und
einen Luftstrom durch die geöffneten Stimmlippen presst.
Die Druckdifferenz ober- und unterhalb der Glottis wird damit
schlagartig ausgeglichen.
Die an den gewölbten Stimmlippen vorbeiströmende Luft
erzeugt einen Unterdruck - ähnlich dem Unterdruck, der ein
Flugzeug in der Luft hält (Bernoulli-Kraft) -,
der die Stimmlippen wieder zusammenpresst.
Der Druck unterhalb der Glottis baut sich wieder auf und der Zyklus
beginnt von neuem.
Nach Pompino-Marschall (1995), Einführung in die
Phonetik, S.34.
Nach Ungeheuer (1962) ist die Form des Querschnitts akustisch nicht relevant;
lediglich die Querschnittsfläche ist entscheidend. Daher stellen
wir uns ein Rohr mit kreisrundem Querschnitt vor.
Die (idealerweise punktförmige) Glottis erzeugt eine
(idealerweise) kugelförmig sich ausbreitende Schalldruckwelle.
Diese wird an den schallharten Wänden des Rohres reflektiert und
die Reflexionen überlagern sich - da es sich um ein
lineares System
handelt - additiv.
Geometrische oder physikalische Randbedingungen für Schallwellen sind im
Ansatzrohr die
Mundöffnung (Druckminimum = 'Schwingungsknoten'),
die Glottis (Druckmaximum = 'Schwingungsbauch') und
die reflektierenden Wände.
Voraussetzung für diese Modellvorstellung ist allerdings, daß
der Rohrquerschnitt klein gegen die
Wellenlänge der höchsten
vorkommenden Frequenz ist. Andernfalls könnten sich stehende
Wellen auch quer zum Rohrverlauf ausbilden, was die mathematische
Behandlung verkomplizieren würde.
Analogie zur schwingenden Saite:
Eine Guitarrensaite hat eine bestimmte Länge und ist an beiden Seiten
fest eingespannt. Wenn man sie anschlägt, kann sie an den Stellen,
wo sie eingespannt ist, nicht schwingen. Die Randbedingung für die
Auslenkung der Saite ist also: 'Schwingungsknoten' an beiden Enden.
VORSICHT: Es handelt sich hier nur um eine analoge Betrachtung! Der Vokaltrakt
ist kein tonerzeugendes System wie eine Guitarrensaite, sonst hätte Hermann
mit seiner Erklärung der Formanten als Schwingungen einer Glocke recht!
Beispielrechnung für das glatte Ansatzrohr:
Unser Ansatzrohr sei 17 cm lang und habe einen gleichmäßigen
Querschnitt von 2 cm.
Kontrolle der Wellenlänge in Querrichtung:
Stehende Wellen:
Ein Viertel der
Wellenlänge dieser stehenden Welle ist 17 cm. Also ist die
gesamte Wellenlänge Lambda 4 * 17 = 68 cm. Das entspricht der Frequenz
Die erste Resonanzfrequenz unseres Rohres, und damit der erste Formant
liegt also bei 500 Hz.
Die nächste mögliche stehende Welle ist eine Cosinus-Welle mit
Dreiviertel der Wellenlänge (also 3/2 Pi). Auch diese Welle erfüllt die Randbedingungen 'Bauch an der
Glottis' und 'Knoten an der Mundöffnung', wie unschwer zu sehen ist.
Damit ergibt sich eine Wellenlänge Lambda von 4/3 * 17 = 22.66 cm. Die
entsprechende Resonanz-Frequenz berechnet sich zu
Die zweite Resonanzfrequenz unseres Rohres, und damit der zweite Formant
liegt also bei 1500 Hz.
Wir können dies nun für alle Frequenzen
innerhalb der Hörfläche
fortsetzen und erhalten die folgenden Formantlagen:
Helmholtz und Hermann hatten also beide nur einen Teil der Wahrheit
erkannt: Formanten sind nicht die Obertöne (Helmholtz), aber ohne
die Obertöne im Glottisspektrum wäre auch keine Resonanz möglich
(Ohne Anregung keine Resonanz!). Formanten sind keine Eigenschwingungen
wie bei einer angeschlagenen Glocke (Hermann), aber wie bei einer Glocke
werden die Formanten durch die Resonanzfähigkeit des Ansatzrohres und damit
durch die Geometrie entscheidend bestimmt.
Fant hat mit seiner Modellvorstellung von Quelle und Filter korrekt
erkannt, daß der Vokaltrakt nichts anderes als ein lineares, akustisches
Filter darstellt, dessen Übertragungsfunktion von der jeweiligen
Stellung der Artikulationsorgane abhängt.
Nach Tillmann (1980)
Der Formantverschieber zeigt, wie sich die Formantlagen für den
ersten bis dritten Formanten aus der neutralen Lage (Schwa-Laut) heraus
ändern, wenn bestimmte Bereiche des Ansatzrohres verengt oder
erweitert werden. Ein Pluszeichen bedeutet Erhöhung, ein Minuszeichen
Erniedrigung des Formanten durch Verengung/Erweiterung in diesem Bereich
des Ansatzrohres (z=0 : Glottis, z=L : Mundöffnung). Eine
Erweiterung ist als nach unten offenes Feld, eine Verengung als nach
oben offenes Feld gezeichnet.
Beispiele:
Andererseits ist zu bedenken, daß sich der Vokaltrakt in
der Realität nicht in
völlig beliebige Formen bringen läßt. Es gibt
zumindest folgende Einschränkungen:
Auf die genaue Zuordnung der einzelnen Laute auf den
Ort der Artikulation verzichten wir hier, da dies an anderer
Stelle ausführlicher beschrieben wird. Als
besonderer Fall sei hier nur auf das Flüstern hingewiesen,
bei dem die Rauschquelle durch eine stimmlose Verengung an den Stimmlippen
verursacht wird.
Der klassische Plosiv, wie er hier beschrieben wird, kommt im
deutschen Sprachraum nicht so häufig vor.
Daher wollen wir hier noch zwei andere
Varianten ansprechen.
Der stimmhafte Plosiv ist dadurch gekennzeichnet, daß während
der 'Verschlußpause' eine stimmhafte Anregung im Signal
zu erkennen ist. Im Spektrum ist entsprechend bei niedrigen Frequenzen
ein durchgehender, horizontaler Balken (eng. voice bar) zu
sehen. Die Verschlußlösung ist teilweise nur noch
ein winziger Impuls, der der stimmhaften Schwingung überlagert ist.
Kommt es kurz nach der Verschlußlösung infolge der Verengung
zu einer kurzen Friktion,
so spricht man von einem aspirierten
Plosiv.
Löst sich der Verschluß in einen richtigen Frikativ, so spricht
man auch von einem Affrikaten, z.B. in 'Hopfen'.
Auch wenn während des eigentlichen Verschlusses von keinem
Signal bzw. Spektrum (und auch nicht von Aerodynamik)
gesprochen werden kann, ist doch die Lage des
Verschlusses in Vokaltrakt in den angrenzenden Bereichen um den Plosiv
aus den Formantbewegungen erkennbar. Wir werden auf diesen akustischen Effekt
in einem späteren
Abschnitt noch ausführlicher eingehen.
Periode eines typischen
Nasals
Beim Senken des Velums wird der Nasenraum bis hin zu den Nasenlöchern
akustisch an den Vokaltrakt angekoppelt. Je nach der Stellung des
übrigen Vokaltrakts ergeben sich - bei stimmhafter Anregung -
die folgenden Möglichkeiten:
Aus dem Abschnitt
Sekundäre Schallerzeugung
wissen wir, daß es sich hierbei um Verschlüsse des
Vokaltrakts im vorderen Teil des
Ansatzrohrs
(Mundhöhle) handelt und einer anschließenden offenen
Passage (Vokoid)
mit gleichmäßigem Verlauf der
Querschnittsfläche über den gesamten Vokaltrakt
(Neutralvokal Schwa).
Mit Hilfe des Formantverschiebers
können wir nun die Bewegung der ersten drei Formanten beim
Übergang von Verschluß zum Neutralvokal vorhersagen:
Die Formantlage bei Beginn der Silben läßt sich aus den
Diagramm des Formantverschiebers ablesen, wenn wir folgende Positionen
für die drei verschiedenen Plosive festlegen:
Plosiv /b/ : Letztes Achtel des Vokaltrakts (Lippen)
Am Ende der Bewegung müssen alle drei Formanten bei allen
drei Beispielen äquidistant liegen, wie wir es an früherer
Stelle
für den neutralen Vokoiden Schwa hergeleiten haben.
Damit ergibt sich folgende Formantverläufe für unsere
Beispielsilben:
Solche oder sehr ähnliche Formantverläufe lassen
sich an tatsächlich gemessenen Signalen im Sonagramm erkennen.
Mit Hilfe des
Pattern Playback
Verfahrens konnten Wissenschaftler
des MIT schon sehr früh künstliche Formantverläufe
hörbar machen. Ein schönes Beispiel demonstriert genau
die Wahrnehmung
verschiedener Plosiv-Qualitäten durch
künstliche Veränderung des zweiten und dritten Formanten.
Die folgende Darstellung zeigt die Veränderung des ersten und
des zweiten Formanten beim vokalischen Übergang von
/u/, über /o/, /a/, /e/ bis zum /i/.
Vokoidspektrum
Ein typisches Vokoidspektrum läßt sich als
harmonisches Linienspektrum
darstellen, indem man eine Grundperiode aus dem gemessenen
Sprachsignal herausschneidet und als
Fourier-Reihe entwickelt.Die Frage nach den Formanten
Helmholtz (1862) und vor allem Stumpf (1926) vertraten die Auffassung,
daß die Formanten einfach Harmonische der Grundfrequenz
seien. Das impliziert aber, daß die Formanten im Vokalspektrum
immer genau harmonisch zu liegen kommen, auch bei unterschiedlicher
Grundfrequenz.
In diesen Experimenten wurden die
Verläufe der ersten drei Formanten in aufgezeichneten Sprachsignalen
analysiert und anschließend drei Sinus-Generatoren
(die 'Resonanzen der Glocke') so gesteuert,
daß sie genau diese Verläufe über der Zeit nachbildeten
(
Sine Wave Replication).
Aerodynamisches Modell der Phonation
Auf die physiologischen Einzelheiten des Vokaltrakts und der daran beteiligten
Organe kann hier nicht näher eingegangen werden. Siehe dazu
das entsprechende Dokument zur Physiologie.Akustisches Modell des Vokaltrakts
Der menschliche Vokaltrakt von der Glottis bis zur Mundöffnung
kann bei der Vokalerzeugung (keine Verengung) in erster Näherung
als Rohr mit schallharten (d.h. vollständig reflektierenden)
Wänden, als sogenanntes Ansatzrohr
betrachtet werden. Am geschlossenen Ende sitzt als
Schalldruckquelle die Glottis; am anderen Ende ist das Rohr offen zur
Mundöffnung.
Durch Anwendung der Websterschen
Horngleichung läßt sich
zeigen, daß sich innerhalb des Rohres stehende Wellen bei
bestimmten Resonanzfrequenzen, eben den Formanten, ausbilden.
Damit ergeben sich nur die folgenden möglichen Resonanzschwingungen
im System 'Guitarre': Eine Halbschwingung zwischen den beiden
Schwingungsknoten, eine Vollschwingung zwischen den beiden Schwingungsknoten
(also ein weiterer Knoten genau in der Mitte), eineinhalb Vollschwingungen
zwischen den beiden Schwingungsknoten (also zwei weitere
Knoten bei 1/3 und 2/3 der Saitenlänge), usf.
Es entsteht eine Obertonreihe, d.h. ganzzahlige Vielfache
der ersten Schwingung, und somit ein Klang.
Beweis: Durch Anlegen des Fingers auf den 7. Bund
(1/3 der Saitenlänge) bringt man eine weitere Randbedingung in das
System: ein Schwingungsknoten an dieser Stelle.
Dadurch lassen sich die Grundschwingung und der erste Oberton
dämpfen (da diese hier keinen Schwingungsknoten haben).
Man hört also nur noch den zweiten Oberton und weitere
Obertöne, die an dieser Stelle einen Schwingungsknoten haben.
Die Schallgeschwindigkeit c ist etwa 34000 cm/s.
Nehmen wir als höchste, mögliche Frequenz in der Sprache 4000 Hz,
dann ist die Wellenlänge Lambda gleich 8.5 cm, also noch groß gegen
den Querschnitt von 2 cm.
Betrachten wir nun anschaulich, was für mögliche stehende Wellen
in die Geometrie des Ansatzrohres passen. Der Schalldruck an der
Glottis soll maximal, an der Mundöffnung minimal sein. Die
erste mögliche, harmonische Schwingung, die diese Bedingung erfüllt,
ist eine Cosinus-Welle einer Viertel Wellenlänge
(also Pi/2).
Dies sind die Formantlagen des neutralen Schwa-Lauts, der
genau dadurch gekennzeichnet ist, daß der Vokaltrakt über
die ganze Länge einen ungefähr gleichmäßigen
Querschnittsverlauf hat.
Formanten
Formanten sind also das Produkt von Resonanzen im Ansatzrohr. Die
Luftsäule im
Ansatzrohr wird durch das Glottissignal angeregt, an den durch die
Geometrie vorbestimmten Frequenzen 'mitzuschwingen'. Dadurch verformt
sich das gleichmäßig abfallende Glottisspektrum zu Gipfeln, die wir
als die typischen Formanten für bestimmte Laute erkennen.
Formantverschieber
Meyer-Eppler und Ungeheuer (1962) haben mit Hilfe dieser Modellvorstellung
als erste vorgeschlagen, die Formantlagen der verschiedenen Vokoide durch
geometrische Abweichungen vom neutralen Ansatzrohr zu modellieren.
Diese Abweichungen sind Erweiterungen und Verengungen des Ansatzrohres
in bestimmten Bereichen des Vokaltrakts, wobei nur der Verlauf der
Querschnittsfläche Sigma(z) die Lage
der Formanten bestimmt.
Daraus ergab sich das Konzept des
Formantverschiebers
(Tillmann 1980),
der in folgendem Diagramm schematisch dargestellt ist.
Abbildung Artikulation auf Akustik
Wie schon aus dem Bild des Formantschiebers ersichtlich, gibt es
mit diesem Modell
mehrere geometrische
Möglichkeiten, eine bestimmte Formantlage zu erzeugen.
Schroeder (1967) hat darauf bereits hingewiesen.
Eine Abbildung
der Stellung des Artikulationstrakts auf das akustisches Signal ist
demnach zwar eindeutig, aber nicht eineindeutig.
Mit anderen Worten, aus der Stellung des Vokaltrakts kann zwar
das akustische Signal, aber aus dem akustischen Signal nicht die Stellung
des Vokaltrakts eindeutig bestimmt werden.
Daher ist zu erwarten, daß sich in der Realität
doch eine eineindeutige Abbildung
beobachten läßt.
Durch Verengung des Vokaltrakts
Die
Frikative oder
Reibelaute werden durch eine
Verengung in Vokaltrakt hervorgerufen. Auch hier unterscheiden wir - wie bei
den Vokoiden - zwischen der aerodynamischen Quelle und der
anschließenden akustischen Filterung des Quellensignals
Aerodynamisches Modell der stimmlosen Anregung
Normalerweise herrscht im Vokaltrakt eine
laminare Luftströmung, d.h. die Luftmoleküle bewegen
sich auf weitgehend parallelen Bahnen. Dabei entsteht kein Schall.
Wird die Passage jedoch verengt, steigt die
Strömungsgeschwindigkeit in Bereich des Hindernisses stark an und
damit auch die Reynoldsche Zahl. Überschreitet diese einen
kritischen Wert, schlägt die laminare Strömung um
in eine chaotisch-turbulente Verwirbelung. Diese lokale Verwirbelung des
Luftstroms erzeugt an der Stelle der Verengung ein Schallsignal, welches sich
von dort in beide Richtungen des Vokaltrakts ausbreitet.
Dieses Anregungssignal ist im Gegensatz zum
periodischen Anregungssignal
der Stimmlippen aperiodisch und
wird Rauschen genannt. Das
Spektrum eines Rauschsignals kann
infolge des chaotischen Verhaltens im Zeitbereich nur noch statistisch
bestimmt werden und wird kontinuierlich dargestellt.Akustisches Modell der Frikative
Die Verengung des Vokaltrakts kann an mehreren Stellen erfolgen. Je
nach Lage der Verengung im Vokaltrakt ergibt sich eine andere geometrische
Konfiguration des Resonanzraums, der die Übertragungsfunktion des
nachgeschalteten Filters bestimmt.
Grundsätzlich gelten aber die akustischen Gesetze des
Ansatzrohres bei der Bildung von Vokoiden auch hier. Das kontinuierliche
Rauschspektrum der Quelle wird an den Formanten des nachfolgenden Ansatzrohres
verstärkt, und bei etwaigen Anti-Formanten - wir kommen im
nächsten Abschnitt darauf zurück - abgeschwächt.
Je weiter 'hinten' im Vokaltrakt die Verengung stattfindet, desto stärker
wird das Rauschsignal der Quelle verformt. Man nennt dies auch
artikulatorische Tiefe (Tillmann 1980).
Das Rauschsignal der Quelle breitet sich sowohl
nach vorne in Richtung Mundöffnung, als auch nach hinten in
Richtung Glottis aus. Der Resonanzraum hinter der Engstelle hat jedoch keinen
oder nur sehr wenig Einfluß auf das von den Lippen
abgestrahlte Sprachsignal.Durch Verschluß des Vokaltrakts
Bei der Bildung der
Plosive oder
Verschlußlaute haben
wir die paradoxe Situation, daß ein Sprachlaut durch das zeitweise
Fehlen
jeglicher Anregung charakterisiert ist
(engl. silent interval, s.i.).
Der Vokaltrakt verengt sich für
eine kurze Zeitspanne (40 - 100 ms) zum
luftdichten Verschluß, der - in den meisten Fällen - von
einer impulsartigen Druckwelle (engl. burst) gesprengt wird.
Man fügt in eine Aufnahme des Wortes 'Hoffen' unmittelbar vor
dem Frikativ /f/ eine Pause von 60 ms ein. Beim Abspielen versteht
man deutlich das Wort 'Hopfen'.
Das Gesetz der artikulatorischen Tiefe gilt analog zu den
Frikativen auch hier.
Auch hier verzichten wir auf die genaue Zuordnung
der einzelnen Laute auf den Ort der Artikulation, da dies an anderer
Stelle ausführlicher beschrieben wird.
Freie Passage im Mundraum
Durch die Ankoppelung des Nasenraums entstehen analog zu unserem Modell
des Ansatzrohres stehende Wellen
im abzweigenden Nasenraum. Durch Resonanz dieser stehenden Wellen wird
dem Schallfluß im restlichen Ansatzrohr Energie bei bestimmten
Frequenzen entzogen. Im Spektrum des schließlich von den Lippen
abgestrahlten Sprachsignals zeigt sich dies in Form von Einbrüchen
bei diesen Frequenzen, den sogenannten Anti-Formanten oder Anti-Resonanzen.
Gleichzeitig wird auch von den Nasenlöchern - parallel zum Schallfeld
der Mundöffnung - ein Schallfeld abgestrahlt, welches andere
Resonanzen im Spektrum betont. Beide Schallfelder überlagern sich im Fernfeld
und führen zu einer akustisch sehr komplexen Konfiguration. Die genauen Details
der Nasalierung sind derzeit noch Gegenstand der Forschung.
Das auditive Ergebnis dieses Vorgangs sind
nasalierte Vokale, die
im deutschen Phonemsystem (Phonologie)
eigentlich nicht vorkommen, aber in der
Realität - und nicht nur in Fremdwörtern - natürlich
nachgewiesen werden können.
Lippen geschlossen - Zunge gesenkt
Bei geschlossenen Lippen findet die akustische Abstrahlung nur noch von
den Nasenlöchern statt. Die Situation kehrt sich nun quasi um:
Die vorne abgeschlossene Mundhöhle wirkt als Resonanzhohlraum, der
dem Ansatzrohr von Glottis bis Nasenlöchern
bei bestimmten Antiformanten Energie entzieht. Sind nur die
Lippen geschlossen, ist die ganze Mundhöhle Resonanzraum. Das
auditive Ergebnis dieser akustischen Konfiguration ist der
Nasal /m/.Lippen geöffnet - Verschluß Zunge - Zahndamm
Der Verschluß liegt nun 'tiefer' - im Sinne der
artikulatorischen Tiefe nach Tillmann (1980) -
in der Mundhöhle und
veringert somit den angekoppelten Resonanzraum der Mundhöhle.
Die Lage der Anti-Formanten wird dadurch verändert und es
entsteht der auditive Eindruck des
Nasals /n/.Lippen geöffnet - Verschluß Zunge - weicher Gaumen
Liegt der Verschluß an der Stelle dicht vor dem gesenkten
Velum, auf dem weichen Gaumen, entsteht - entsprechend der oben
bereits beschriebenen akustischen Konfiguration - der auditive
Eindruck des Eng-Lauts,
Nasal /N/, wie in 'lang'. Da die Zunge bei dieser Konfiguration normalerweise dicht am weichen Gaumen anliegt, ist keine geschlossene Kavität in der Mundhöhle mehr vorhanden, die Anti-Resonanzen bewirken könnte. Der Eng-Laut ist somit wieder ein klassischer Fall eines einfachen Ansatzrohres, welches nun aber über den Nasenraum führt.Transitionen Plosiv - Schwa
Aus dem bisher Erläuterten wollen wir jetzt die
dynamische Bewegung der ersten drei
Formanten für drei einfache Silben
vorhersagen. Die drei Silben bestehen jeweils aus einem
stimmhaften Plosiv
(/b/, /d/ und /g/) und den anschließenden
Neutralvokal Schwa.
Die Verschlüsse /b/, /d/ und /g/ haben zunehmende
artikulatorische Tiefe von den Lippen bis zum Gaumen.
Plosiv /d/ : Siebtes Achtel des Vokaltrakts (Alveolen)
Plosiv /g/ : Fünftes Achtel des Vokaltrakts (Gaumen)
Transitionen zwischen Vokoiden
Neben den charakteristischen Übergängen zwischen
Kontoiden und Vokoiden gibt es natürlich auch die
Formantübergänge zwischen zwei Vokoiden (wie z.B.
in Diphtongen /aI/, /aU/ und /OY/).
http://www.phonetik.uni-muenchen.de/AP/APKap1.html
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Florian Schiel